Zur Ausstellung der Backnanger Künstlergruppe / Martin Schick [Juni 2022]
Einer 25-jährigen Tradition folgend, zeigt die Galerie der Stadt Backnang, zum fünften Mal seit ihrem Bestehen, eine Ausstellung mit der Backnanger Künstlergruppe. Ursula Draxler, Kurt Entenmann, Ernst Hövelborn, Sieghart Hummel, Ernst Keller, Gregor Oehmann, Gilbert Peckels, Herbert Seybold, Elke Vetter und Rainer Vogt stellen ihre in jüngster Zeit entstandenen Werke der Öffentlichkeit vor. Dass diese Ausstellung in das Jubiläumsjahr – 25 Jahre Galerie der Stadt Backnang – fällt, passt ganz gut zur Geschichte der Künstler-gruppe wie auch der Galerie.
Viele Backnanger kennen die Geschichte, aber weil sie schon so lange her ist, darf sie an dieser Stelle noch einmal erzählt werden: Das Haus, in dem die Galerie der Stadt Backnang heute untergebracht ist, war bis 1992 eine Schule, die Schickhardt-Realschule, benannt nach Heinrich Schickhardt, dem Erbauer des Stadtturms, mit dessen unteren Geschossen das Haus verbunden ist. Er baute um 1600 den Turm als Verlängerung des bestehenden Kirchtürmchens der ehemaligen frühgotischen Michaelskirche, dessen Basis, der um 1235 entstandene frühgotische Chor, noch erhalten und heute zentraler Bestandteil der Galerie ist. Schon als Schulgebäude war das so über die Jahrhunderte entstandene Ensemble ein Kuriosum – das Treppen-haus befand sich (bis zur späteren Sanierung 2001 – 2003) im gotischen Chor. Als Anfang der 1990er Jahre die Schule ausgezogen war, gab es ver-schiedene Pläne für die Nachnutzung, die allesamt wieder verworfen wurden. In dieser offenen Situation lud der damalige Kulturamtsleiter Klaus Erlekamm die einige Jahre zuvor gegründete Backnanger Künstlergruppe dazu ein, im Turm-schulhaus eine Ausstellung zu zeigen. Die Gruppe war damals in der Stadt intensiv auf der Suche nach für ihre stattliche Größe (17 Gründungsmitglieder 1987) geeigneten Ausstellungsmöglichkeiten, denn das Helferhaus, in dem damals der Heimat- und Kunstverein als Pionier der Bildenden Kunst in Backnang schon seit Jahren regelmäßig Kunstausstellungen organisierte, konnte aufgrund der bescheidenen Größe seiner Wechselaus-stellungsfläche nicht mehr der adäquate Ort dafür sein. Der unrenovierte Charakter des leer stehenden Turmshulhauses war indes kein Nachteil, sondern für die Künstler eher inspirierend, und so entstand die erste Ausstellung in dem Gebäude 1993 unter dem Titel „Kulturbaustelle“. Diese darf man heute als Auslöser ansehen für eine sehr fruchtbare Entwicklung. Da die „Kulturbaustelle“ ein Erfolg war und sich das Gebäude offensichtlich gut für Kunstausstellungen eignete, kamen in den folgenden Jahren weitere Aus-stellungen dazu, sowohl mit Backnanger Künstler-gruppe, als auch mit anderen Künstlern.
Nicht zuletzt trugen, durch die Kontakte des Kulturamts zur Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart, die Ausstellungen mit Studierenden der Kunst-akademie Mitte der Neunzigerjahre, die das Haus intensiv und sehr ortsbezogen bespielten, zu einer Entwicklung bei, die von Anfang an auch auf junge, aktuelle, experimentelle Kunst setzte. Die Stadt stieg in die Organisation der Ausstellungen in kleinen Schritten tiefer ein. So war es nur noch ein kleiner, konsequenter Schritt, bis sich die Ausstellungsadresse ab 1997 als kommunales Museum unter dem Namen „Galerie der Stadt Backnang“ endgültig dazu aufmachte, ein über die Grenzen der Stadt weit hinausweisendes Forum für aktuelle Kunst im Zusammen-klang und auf Augenhöhe mit vielen anderen Ausstellungsadressen in der Region und darüber hinaus zu werden. Aus der Würdigung der und in Erinnerung an die Anfänge dieser Ent-wicklung hat sich die Verabredung mit der Künstlergruppe ergeben, alle fünf Jahre im Rahmen einer im Jahresprogramm zusätzlichen Aus-stellung einen Blick auf das künstlerische Schaffen der Gruppe zu werfen. Man hat seit jeher allerorten Künstler-gruppen kommen und gehen gesehen. Nach beachtlichen 35 Jahren ist die Backnanger Künstlergruppe immer noch aktiv und vital. Das machen ihr nicht viele nach. Man wird vielleicht vermuten, dass sich das Personal in einer so langen Zeit aus verschiedenen Gründen komplett ausge-wechselt hat. Und natürlich gab und gibt es Zu- und Abgänge aus verschiedensten Gründen. Schließlich ist es ja keine Zunft oder Berufsverband und jede/r Künstler/in, selbst wenn er/sie am Ort lebt, überlegt sich, ob er/sie lieber Einzelkämpfer/in sein oder sich in die Prozesse einer größeren Künstlergruppe einbringen möchte. Eine gewisse Fluktuation wird man schon auf-grund der langen Zeit erwarten. Mitglieder leben nicht mehr oder sind weggezogen. Andere sind neu dazu gestoßen, sind etwa neu in den Raum Backnang gekommen oder haben sich auch von außerhalb der Stadtgrenzen integriert. Aber es ist absolut auffällig, dass heute immer noch sage und schreibe die Hälfte der Mitglieder der Backnanger Künstlergruppe bereits als Gründungsmitglieder seit 1987 dabei sind, auch einige andere seit sehr vielen Jahren. Allein schon diese Treue der Mitglieder spricht für die Formation. In den zurückliegenden 35 Jahren muss viel passiert sein, wenn die Mitglieder der Gruppe so lange verbunden bleiben, und das ist es auch. Vor allem, dass es der Gruppe immer wieder gelungen ist, auch auswärts Ausstellungen auszurichten, macht ihre Mitgliedschaft nachhaltig attraktiv, das darf sich die Gruppe auf die Fahnen schreiben. Dass die Mitglieder der Gruppe künstlerisch nicht auf der Stelle treten, dass sich ihre Kunst vielmehr stets in einer vitalen Entwicklung und in der Auseinandersetzung mit ihrer Zeit befindet und immer wieder überrascht, das erkennt man, wenn man ihre Ausstellungen anschaut.Es ist gut, dass die Künstler/innen in dieser Stadt künstlerisch in der Öffentlichkeit präsent sind. Dass sie, wie die Mitglieder der Backnanger Künstlergruppe, sich mit der Stadt, in der oder in deren Umgebung sie leben, in hohem Maße verbunden fühlen und sich für die Kunst einmischen. In diesen rauer werdenden Zeiten lernen wir aufs Neue zu verstehen, dass die Freiheit der Kunst zu verteidigen, die Demo-kratie zu verteidigen heißt. Das darf, ja muss auch auf der lokalen Ebene gelebt werden, wenngleich es natürlich von Künstler/innen keine politische Agitation verlangt. Es geschieht aber vielmehr dadurch, dass ihre künstlerische Arbeit selbst immer wieder von Neuem sichtbar werden kann und im Bewusstsein der Gesell-schaft bleibt. Dafür gibt es und braucht es auch in Zukunft einen Rahmen, der der hierzulande gottseidank unangefochten geltenden gesellschaftlichen Übereinkunft, dass eine freie Kunst einfach zum Leben in einer freien Gesellschaft dazu gehört, eine gelebte Praxis anbietet: Orte, an denen ausgestellt werden kann. Aber auch Leute, die privat Kunst schätzen, kaufen und sich mit ihr umgeben – auch und gerade, wenn die Kunst dabei nicht nur unser Bedürfnis nach Dekoration befriedigt, sondern ihrer Aufgabe als Stachel im Fleisch unserer ästhetischen Bequemlichkeit nachkommt und uns herausfordert. Die Mitglieder der Backnanger Künstlergruppe sind Künstlerinnen und Künstler, die sich, um es mit schwäbischem Under-statement auszudrücken, mit der Qualität ihrer Arbeiten nicht verstecken müssen. Sie sind gleichzeitig geerdet und experimentierfreudig, haben ein Gespür für ihr Publikum und wissen es ebenso herauszufordern als auch zu unterhalten. Auch dann, wenn man schon mehrere ihrer Ausstellungen gesehen hat: Im Rückblick auf die 5-Jahres-Ausstellungs-Frequenz in der Galerie der Stadt Backnang ist festzu-stellen, dass keine der Ausstellungen der anderen geglichen hat, dass von allen Künstler/innen immer wieder ganz andere Akzente gesetzt, unterschiedliche Formen gezeigt und ausprobiert worden sind. Man sieht, dass sie sich treu bleiben im Wandel, dass sie zu ortsspezifischem Reagieren auf den Raum ebenso in der Lage sind wie zur Reflexion des Weltgeschehens und dass ihr Repertoire uner-schöpflich ist. Diese Ausstellung zeigt es von Neuem, und es ist ihr nicht nur zu wünschen, sondern ich bin mir ganz sicher, dass ihr bei diesem fünften Heimspiel im ehemaligen Schulhaus, das auch Dank der Künstlergruppe zu einer Schule des Sehens geworden ist, eine entsprechende Aufmerksamkeit seitens des treuen Publikums in Backnang und weit darüber hinaus zuteilwird. Diese Aufmerksamkeit ist verdient. Künstlerinnen und Künstler, die in der Stadt, in der sie leben, Aner-kennung und Aufmerksamkeit finden, sind am richtigen Ort. Und eine Stadt, die von ihren Künstlerinnen und Künstlern geschätzt wird, darf sich glücklich nennen, denn sie bekommt stets mehr von ihnen zurück, als sie ihnen geben musste.